Die Freizügigkeit von Fachkräften in der EU und weltweit ist wichtiger denn je

Wissen Sie wie man ein Haus baut? Wenn nicht, sollten Sie vielleicht in Betracht ziehen es zu lernen. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass wir im Jahr 2030 einen heiklen Mangel an Bauarbeitern erleben werden. Dies ist Ihre Gelegenheit sich Fertigkeiten wie Elektroinstallation, Schreinerei, Maurerhandwerk, Abdichten und Sanitärinstallationen anzueignen.

Laut dem Bericht «Zahlen und Fakten 2020» des Schweizerischen Baumeisterverbandes SBV [1] muss sich die Baubranche auf grosse Probleme gefasst machen: Immer weniger junge Leute sind gewillt einen Bauberuf zu erlernen und viele der gegenwärtigen Fachkräfte stehen kurz vor der Pensionierung. Gegenüber 2010 haben im Jahr 2019 40% weniger Jugendliche eine Lehre als Maurer begonnen. Diese Entwicklung wird entscheidende Auswirkungen auf die gesamte Branche haben, denn die Mehrheit der Vorarbeiter, Baupoliere und Bauführer wird aus dem Maurerpool rekrutiert. Andererseits ist der Anteil der über 50-Jährigen in der Baubranche auf 36% gestiegen. Die voraussichtlichen Folgen dieser Konstellation sind besorgniserregend.

In den letzten Jahren ist das Niveau der beruflichen Qualifikationen im Bauwesen aufgrund der Digitalisierung stark angestiegen. Der typische ungelernte Arbeiter ist nun kaum noch gefragt und damit entsteht eine Qualifikationslücke zwischen Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften in diesem Sektor. Die Ursachen des Fachkräftemangels sind jedoch viel komplexer.

Demografische Entwicklungen

Sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung sind die beiden wichtigsten demografischen Trends in der Schweiz und der Europäischen Union. Eine alternde Bevölkerung gepaart mit einem rückläufigen Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter haben die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft. Gemäss Daten von Eurostat [2] ist der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung der EU zwischen 2010 und 2018 um mehr als 2% gesunken und das Medianalter im gleichen Zeitraum um fast drei Jahre auf 43.1 Jahre gestiegen.

Hinzu kommt, dass sich der Effekt der in den Ruhestand gehenden Babyboomer noch nicht voll entfaltet hat. Eine Studie der Credit Suisse [3] stellt fest, dass rund 1,1 Millionen Menschen in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter erreichen werden und die jüngere Generation nicht in der Lage sein wird, die grosse Zahl hochqualifizierter Arbeitsplätze zu besetzen, die diese Nachkriegsgeneration der Babyboomer freisetzt. Studien aus anderen mitteleuropäischen Ländern stellen ähnliche Prognosen hinsichtlich der Auswirkungen der Babyboomer auf ihre Arbeitsmärkte.

Mehrere Berichte weisen jedoch auf einen Mangel an Fachkräften im Bausektor in Ländern hin, die nicht diese demographische Form haben, wie etwa Südafrika und Indien. Offenbar gibt es auf internationaler Ebene auch noch andere Gründe für den Fachkräftemangel im Bauwesen.

Negatives Image

Weltweit zeigen zahlreiche Studien, dass die Bauindustrie ein schlechtes Image hat, besonders bei Jugendlichen. In einer Studie durchgeführt an einer Highschool in Südafrika belegten beispielsweise Berufe im Baugewerbe Platz 247 von 250 potenziell attraktiven Beschäftigungen [4]. Daten des britischen Ausbildungsausschusses der Bauindustrie (CITB) von 2013 [5] ergaben, dass in Grossbritannien die allgemeine Attraktivität der Bauindustrie als Karriereoption bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren auf 4.2 von 10 gefallen ist. Die britische Baugewerkschaft Union of Construction, Allied Trades and Technicians (UCATT) meldete für 2013 denn auch einen Rückgang der Zahl der Lehrlinge im Baugewerbe um 14.6%. Diese Entwicklung wurde in einer erneuten Umfrage 2017 bestätigt. In den USA gaben 2017 gemäss einer Umfrage nur 3% der Jugendlichen im Alter von 18 bis 25 Jahren an, im Baugewerbe arbeiten zu wollen [6].

Trotz der rosigen Aussichten auf eine Karriere in einem gefragten Berufsfeld scheint die Jugend das schlechte Image der Branche nicht überwinden zu können: Niedrige Löhne, schlechte Jobsicherheit, Gesundheits- und Sicherheitsbedenken, minderwertige Arbeit und harte Arbeitsbedingungen sind die Aspekte, welche die Jugendlichen am häufigsten mit Arbeitsplätzen im Baugewerbe assoziieren und die sie davon abhalten, eine Karriere in diesem Sektor einzuschlagen. Darüber hinaus nährt die zunehmende Digitalisierung die eigentlich unbegründete Angst, dass Arbeitsplätze im Baugewerbe der Automatisierung zum Opfer fallen werden.

Einige Bauberufe haben zwar ein höheres Automatisierungspotenzial, viele Aufgaben können jedoch aus technischer Sicht kaum von Robotern ausgeführt werden. Selbst körperliche Arbeit, die häufig für automatisierbar gehalten werden, kann für Roboter zu anspruchsvoll sein, insbesondere wenn sie in unvorhersehbaren und veränderlichen Umgebungen geleistet wird.

Zudem denkt man, wenn es um Berufe im Bauwesen geht, meist nur an Tätigkeiten auf der Baustelle und übersieht dabei oft die Berufe, die mit Teilsektoren wie Immobilien, Beschaffung, Architektur oder Ingenieurwesen zusammenhängen. Diese geniessen einen höheren sozialen Status und könnten für beide Geschlechter sehr attraktiv sein.

Wachsendes Interesse am akademischen Pfad

Im dualen Bildungssystem, das vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) praktiziert wird, beginnen die meisten Baukarrieren mit der Berufsausbildung bzw. der Lehre. Das duale System hat in diesen Ländern eine lange Tradition und genoss bei Eltern, Jugendlichen und der Gesellschaft insgesamt eine hohe Akzeptanz. Das wachsende Interesse an universitären Ausbildungen in jüngster Zeit steht nun in direkter Konkurrenz mit den Berufsausbildungen im Baugewerbe und anderen Handwerksberufen.

Wenn Hochschulabsolventen vor der Berufswahl stehen, ist es bereits zu spät sie auf die Baustelle zu locken. Untersuchungen zeigen, dass das Timing entscheidend ist, um das Interesse an Bauberufen zu wecken. Die höchsten Erfolgschancen werden verzeichnet, wenn Schulkinder bereits auf der Primarstufe begeistert werden können. Um dies zu erreichen, bedarf es koordinierter Anstrengungen, um grundlegende Veränderungen im Bildungssystem herbeizuführen und eine starke Zusammenarbeit zwischen Industrie und Bildungseinrichtungen sicher zu stellen.

Unverzichtbare Freizügigkeit von Fachkräften

Langfristig und für künftige Arbeitnehmergenerationen ist dies sicherlich eine vielversprechende Strategie. Kurz- und mittelfristig werden Volkswirtschaften insbesondere in Industrie- und Schwellenländern dennoch in hohem Masse von Fachkräfteflüssen zwischen Ländern in aller Welt abhängen, um den Arbeitskräftemangel zu lindern. Wie die ILO feststellt, sind Migranten in der Tat eine zentrale Quelle von Kompetenzen und Arbeitskräften für Branchen wie die Bauwirtschaft. Das Baugewerbe erfordert von Natur aus flexible Teams mit einer Vielzahl von Fertigkeiten und ist daher aufgrund ihrer Mobilität und Flexibilität oft stark von Wanderarbeitern abhängig. Daher wird die Nachfrage nach Lösungen, die zur Personenfreizügigkeit beitragen, rasch zunehmen. Um jedoch echte Mobilität der Arbeitnehmer zu gewährleisten, muss ein wichtiges Thema gleich zu Beginn vorangetrieben werden: die Anerkennung von Qualifikationen zwischen verschiedenen Ländern und Regionen.

Herausforderungen bei der Anerkennung von Kompetenzen

In der EU dienen die Berufsanerkennungsrichtlinie (Professional Qualifications Directive – PQD), der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) und das Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung (ECVET) als Hauptinstrumente für die Anerkennung beruflicher und akademischer Qualifikationen, um die Mobilität der Arbeitnehmer in Europa zu unterstützen. Trotz erheblicher Anstrengungen wie der Einführung des ESCO- Klassifikationssystems (European Skills, Competences, Qualifications and Occupations) sind Anerkennung und Matching von Kompetenzen zwischen den Mitgliedsländern immer noch sehr enttäuschend, ganz zu schweigen von der Situation auf internationaler Ebene. Der länderübergreifende Vergleich von Kompetenzen birgt zwei grosse Herausforderungen: Erstens haben viele Länder eigene Klassifikationssysteme oder Taxonomien, die jeweils in ein transnationales System abgebildet werden müssen. Dies haben jedoch noch nicht alle Länder umgesetzt. Zweitens lassen sich nicht alle Kompetenzen und Qualifikationen ohne weiteres übertragen. So verfügt beispielsweise ein Schreiner, der eine 18-monatige Lehre in Grossbritannien absolviert hat, über andere Fertigkeiten als ein Schreiner mit einer dreijährigen Lehre in Österreich, obwohl beide eine standardisierte Ausbildung für denselben Handwerksberuf absolviert haben.

Um diese Herausforderungen zu meistern, werden immer mehr Investitionen und Erwartungen in Ontologien und semantische Technologien gesetzt. Die Ontologie von JANZZ ist derzeit die grösste mehrsprachige enzyklopädische Wissensrepräsentation im Bereich der berufsbezogenen Daten. Sie kann nicht nur die vielen sprachlichen Variationen im Berufsjargon in ein gemeinsames Vokabular übersetzen, sondern dank Kuratieren durch menschliche Experten auch Unterschiede und Ähnlichkeiten in Bildung und Qualifikationen über Länder- und Sprachgrenzen hinweg wirklich vergleichen und damit einen sinnvollen Beitrag zu echter Freizügigkeit von Fachkräften leisten.

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[1] Zahlen und Fakten 2020, Schweizerischer Baumeisterverband SBV

[2] European Commission, Improving the human capital basis, Analytical Report (March 2020)

[3] Credit Suisse, Fear of recession exaggerated (September 2019)

[4] Makhene, D., Thwala, W.: Skilled labour shortages in construction contractors: a literature review

[5] UK Construction: An Economic Analysis of the Sector (July 2013)

[6] Young Adults & the Construction Trades, NAHB Economics and Housing Policy Group

[7] Buckley et al.: Migrant work and employment in the construction sector, Geneva: ILO, 2016