4-Tage-Woche? Vergessen Sie es, der Countdown zur Implosion des Arbeitsmarkts hat auch so schon begonnen

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Kloten, 06:43 an einem Freitagmorgen im bis anhin von sengender Hitze geprägten Juli. Gepäckabfertiger Mario V. geniesst bei einer Zigarette gerade eine kurze Verschnaufpause zwischen LX 243 aus Dubai und LX 1952 nach Barcelona. Wobei, «geniessen» scheint momentan doch eine einigermassen übertriebene Wortwahl zu sein. Seit Beginn der Sommersaison sind Marios Arbeitstage – wie jene der meisten seiner Arbeitskolleg:innen auf dem Boden und in der Luft – nämlich vor allem von zahlreichen Überstunden, chaotischen Anweisungen vonseiten des Arbeitgebers und unhöflichen (oder schlichtweg beleidigenden) Aussagen der nun scharenweise Ferien machenden Fluggäste geprägt. All dieser Stress entsteht unter anderem aufgrund der Entscheidung mehrerer Fluggesellschaften, wegen des krassen Personalmangels in diesem Jahr Hunderte von Flügen zu annullieren und die verbleibenden mit dem seit der Pandemie stark abgespeckten Stab an Mitarbeitenden durchzuwursteln. Während er durch die News scrollt, stösst Mario auf einen Artikel über den Fachkräftemangel und dessen Kommentarspalte, über welche er unter ruhigeren Umständen vielleicht hätte lachen können. Bei der derzeitigen Lage bringt sie ihn aber bereits zu dieser frühen Stunde auf hundertachtzig: Da massen sich irgendwelche von Home-Office und Gratiskaffee verwöhnten Besserverdiener an, Dinge wie die 4-Tage-Woche oder den 6-Stunden-Tag zu fordern. Und zwar «insbesondere für Menschen in Berufen mit kaum einem Ausgleich für den Kopf», weil hier ja nur das Ergebnis und nicht die Arbeitszeit zähle. «Ja, herzlichen Dank auch für eure Solidarität!», denkt sich Mario. Ist denen eigentlich bewusst, dass er ihre Koffer von Hand umladen muss und ihm dabei kein einziger Fehler unterlaufen darf, dass seine Arbeit also Kopfarbeit und Knochenarbeit kombiniert und ihm seine Aufgaben gerade Leistungen eines Super Marios abfordern? Die viel gepriesene Fehlerkultur scheint offensichtlich nicht über die eigene Büro-Ecke hinaus zu greifen. Sobald jemandem ausserhalb des eigenen Arbeitsmilieus ein Malheur passiert, bleibt die Toleranz auf der Strecke – so gerade geschehen beim Ausfall der Flugsicherungstechnologie von Skyguide. Niemand lobbyiert hier für Leute wie ihn, sondern stellt seinesgleichen auf dem Weg nach Mykonos gerne noch als inkompetenten, faulen Sack hin. Schlechtgelaunt kehrt Mario zurück in den Frachtbereich, um ebendiesen manuell zu beladenen Gepäckwagen fürs Rollfeld bereitzumachen…

Unmögliche 4-Tage-Woche? Auf jeden Fall unsolidarisch…

Das obige fiktive Beispiel veranschaulicht auf einfache Art und Weise, wie inzwischen viele der sich anstauenden Probleme auf dem weltweiten Arbeitsmarkt vor unserer Haustür angekommen sind. Man fragt sich derweilen: Wieso hat diesem Desaster in der Flugindustrie niemand vorgebeugt, sodass Mario und viele andere Arbeitnehmenden nicht bald wieder einmal auf das ultimative (aber nur bedingt hilfreiche) Druckmittel des Streiks zurückgreifen müssen oder ihnen noch ein Wechsel in die 50-Stundenwoche droht?

Genau eine solche Anhebung der Wochenarbeitsstunden (auf 42 h) wurde gerade vom deutschen Industriepräsidenten vorgeschlagen, dies vor allem, um dem viel zitierten und sich ausbreitenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Der Vorschlag stiess auf heftige Kritik und der Antragsteller wurde bezichtigt, in der Vergangenheit stecken geblieben zu sein. Am anderen Ende des Spektrums reden sich Expert:innen (und Möchtegern-Fachleute) gerade den Mund fusselig über alternative, «zeitgemässe» Arbeitszeitmodelle wie eben die Komprimierung einer Vollzeitbeschäftigung auf eine sogenannte 4-Tage- oder 36-Stunden-Woche. Mit blinder Euphorie wird von den an einer Hand abzählbaren «positiven Beispiele» wie Microsoft Japan oder dem mikrokosmischen Inselstaat, sprich Spezialfall, Island vorgeschwärmt, um das eigene Wunschdenken im Kopf zu manifestieren. Sehen wir mal ganz von der eingangs angetönten Ungerechtigkeit ab, dass es viele Arbeitnehmende in Branchen gibt, für die derartige Forderungen schlichtweg nicht realisierbar sind, weil ihre Tätigkeit nicht alleinig auf Produktivität, sondern auch auf Bereitschaftsdienst, Anwesenheitspflicht und keiner Montag-Freitag/9-5-Basis mit Gleitzeit gründet. Beispielsweise also im Gastgewerbe, der Pflege, im Detailhandel, der Abfallwirtschaft oder im Unterrichtswesen. Oder eben in der Luftfahrt. Selbst wenn man dies noch ignoriert oder es einem egal ist – obwohl man selbst immer nach noch mehr Flexibilität schreit, drängt sich beim Betrachten der aktuellen einschlägigen Arbeitsmarktkennzahlen die Frage auf, wie um Himmels Willen denn diese Rechnung aufgehen soll.

Fachkräftemangel und Arbeitszeitreduktion: Diese Rechnung kann nicht aufgehen

Ein von Befürwortern gerne genannter Nebeneffekt der Beschränkung auf vier Arbeitstage pro Woche betrifft nämlich das Schaffen zusätzlicher Arbeitsplätze. Angesichts der derzeitigen Lage würde dies aber wohl eher noch weitere Probleme mit sich bringen, statt welche zu lösen – der Ausdruck «zeitgemässe Arbeitszeitplanung» ist also nur bedingt passend. Immerhin ist inzwischen vielen bekannt, dass es in der Schweiz – so wie vielerorts – momentan ein x-Faches mehr Arbeit (in Form von Stellen, sprich durch Menschen zu verrichtende Arbeitsstunden) als Menschen auf der Suche nach Arbeit gibt und sich dieser Trend noch intensivieren könnte. Zu spüren bekommen wir dies dann eben während solcher Szenarien wie dem jetzigen in der Luftfahrt: Die miserable Bezahlung und schlechten Arbeitskonditionen in gewissen Branchen tun sich viele nicht (mehr) an und wählen oder wechseln in andere Tätigkeitsfelder mit besseren Bedingungen. Dies geschah insbesondere auf dem Höhepunkt der Pandemie reihenweise, was zig weitere unbesetzte Stellen schuf.

All dies scheint bei den Lobeshymnen auf alternative Arbeitszeitmodelle aus dem gemütlichen Home-Office oder dem schön gelegenen, klimatisierten Büro ausser Acht gelassen zu werden. Genauso, dass Arbeitslosenquote und Erwerbsbeteiligung gerade Tiefst-, respektive Höchststände erreichen, die meisten arbeitswilligen und -fähigen Menschen also bereits einen Job haben.  Genauso, dass die Babyboomer-Generation sich auf dem Weg in die Pension befindet, ohne dass ein Nachrücken von gleich vielen (geschweige denn mehr) Erwerbstätigen erwartet werden dürfte. Kurz gesagt: Dass ein Countdown zur Implosion des Arbeitsmarkts läuft, welche wir alle noch heftiger zu spüren bekommen werden als in Form des lauen Lüftchens, welchem wir momentan an Check-in und Gepäckband auf dem Weg in den Urlaub ausgesetzt sind. Bei solch einer Ausgangslage zu verlangen, dass alle einen Tag weniger arbeiten sollen, ist schlichtweg unsinnig. Mathematisch lässt sich dies relativ simpel anhand eines Dreisatzes zeigen:

 

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Die Krux liegt darin, dass eben nicht 1.2 mal so viel Arbeitskraft wie heute bereits benötigt wird zur Verfügung stehen oder stehen wird (in gewissen Branchen eigentlich nicht einmal 1.0 mal so viel, da es wie gesagt sehr viele offenen Stellen gibt).

Gäbe es denn denkbare Alternativen, die den Fachkräftemangel aktiv bekämpfen, uns aber nicht vor eine rechnerische Unmöglichkeit stellen würden? Eine Möglichkeit wäre die Förderung von Immigration zu Anstellungszwecken; jedoch nicht nur für den hochqualifizierten Fachkräftebereich, wie es gewisse Politiker:innen immer wieder gerne fordern. Allerdings sollte auch hier angemerkt werden, dass neueste Auswertungen darauf hindeuten, dass in gewissen Branchen die Rekrutierungsmöglichkeiten von Zugewanderten selbst bei voller Wahrnehmung der Personenfreizügigkeit derzeit ausgeschöpft sind und damit dem Mangel an Fachkräften nur teilweise entgegengewirkt wird. Dann bliebe da noch die Option, den Arbeitsmarkt in seinen jetzigen Grundzügen neu zu betrachten und gewisse Fehlfunktionen zu beheben…

Auf dem Nachhauseweg von der Frühschicht am Flughafen denkt Mario an seinen morgendlichen Moment des Grolls zurück; es sollte dank weiterer Flugausfällen nicht der einzige dieses Tages bleiben. Es wird ihm einmal mehr klar, dass seine Branche (und womöglich noch so einige weitere) kurz vor einer Bruchlandung stehen, dies aber dennoch niemanden dauerhaft zu kümmern scheint. Weder «die da oben» in den Teppichetagen des Flughafens und des Bundes noch die Tausenden von Reisenden, die ihm tagtäglich vor den Gepäckwagen laufen. Doch gerade ist Mario derart müde vom Non-Stop-Stehen, Sortieren und Schleppen, dass er ein weiteres Kopfzerbrechen deswegen auf einen späteren Zeitpunkt vertagt… Gönnen auch wir Mario seine wohlverdiente Erholungszeit und lassen ihn darum in den nächsten paar Beiträgen noch einige weitere Gedanken zu Themen wie Arbeitsmarktplanung und Konsumentenverantwortung ausrollen (pun intended).

 

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