«Liebe Fluggäste, bitte seid besorgt…» Zur Konsumentenverantwortung
Lesen Sie den letzten Beitrag aus unserer Reihe über aktuelle Geschehnisse auf dem Arbeitsmarkt, geschrieben aus der Perspektive eines Flughafenmitarbeitenden. Zum Abschluss der Serie wenden wir uns dem Thema Preisdruck und der damit verbundenen Konsumenten(mit)verantwortung zu und veranschaulichen dieses anhand des Beispiels der serbelnden Luftfahrtbranche. Dabei wird auch aufgezeigt, dass die Probleme dieser Industrie uns alle nicht nur aufgrund der Auswirkungen auf die Umwelt interessieren sollte.
Liebe Leser:innen
In den vergangenen Wochen habe ich mit grossem Interesse und oftmals auch einem Schuss Entsetzen die Berichterstattung diverser Medienkanäle über die anhaltende Krisensituation aufgrund des Personalmangels im Luftverkehr verfolgt. Auch wenn ich nicht immer alles Gesagte nachvollziehen konnte – insbesondere in den Kommentarbereichen – empfinde ich es im Grundsatz als sehr wichtig, dass diese Angelegenheit medial thematisiert wird. (Disclaimer: Ich selbst bin seit vielen Jahren als Gepäckabfertiger in ebendieser Branche tätig, stehe am Flughafen in regem Austausch mit meinen Arbeitskolleg:innen und spreche deshalb tatsächlich aus Erfahrung.) Bei diesen Beiträgen habe ich von Kadergehälteranalysen bis hin zu Versicherungstipps für Reisende fast alles gelesen, gesehen oder gehört. Jedoch schien mir eine, eigentlich augenscheinliche, Komponente des Schlamassels dabei zu kurz zu kommen. Sie haben es womöglich bereits erraten, es ist die Rolle der Konsumentinnen, welche zufälligerweise (?) oftmals mit der Zielgruppe der zitierten Medien zusammenfallen. Im Folgenden würde ich deshalb gerne ein paar Worte zu diesem Thema sagen. Bevor Sie jetzt abwinken, weil Sie sich als Wenig- oder Nichtflieger nicht angesprochen fühlen, erlaube ich mir noch diese Vorbemerkung: Meine Erfahrung aus der Flugbranche ist lediglich ein Beispiel für eine Problematik, die sich weit darüber hinaus in andere Bereiche erstreckt. Ganz egal, ob hier oder beim Import von günstigen Waren. Der Luxus der einen geht immer auf Kosten von anderen. Und seien Sie sich bewusst, dass wir uns diese Tatsache durch die Linse der reichen Schweiz ansehen – was sie für andere Länder bedeutet, möchten sich viele gar nicht erst vorstellen.
Noch eins vorneweg: Ich bedanke mich wirklich herzlich bei jenen, die sich öffentlich für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne in meiner Branche aussprechen. Diese verbale Unterstützung ist ein wichtiger Anfang, um die Umstände in Sektoren und Berufen wie den meinen zu verbessern. Doch sie ist eben auch nur dies; verbal und ein Anfang. Ist es löblich, seine Stimme zu erheben für Arbeitnehmende, die aufgrund des allgemeinen Reisefiebers gerade anderes zu tun haben, als sich in den Kommentaren über lange Wartezeiten zu streiten? Oder ihnen ein Dankeschön auszusprechen? Durchaus. Nur leider habe ich auf Dauer dennoch herzlich wenig davon, wenn mein Gehalt, das sich nach dem (noch immer geltenden) Krisen-GAV richtet, knapp über dem Existenzminimum zu liegen kommt. Zudem verlieren die Urheber:innen solcher Aussagen in meinen Augen gewaltig an Aufrichtigkeit und Glaubhaftigkeit, wenn man sie als Konsumenten im echten Leben dann doch selbst auf der Jagd nach dem billigsten Schnäppchen oder bei der lauthalsen Kundgabe ihres Unmuts über einen verlorenen Koffer antrifft. Ganz à la «Ich finde ja auch, dass diese armen Schweine, welche mein Gepäck befördern, mehr verdienen. Aber…». Sobald man das Leid selbst zu spüren bekommt, hört bei vielen die Solidarität schlagartig auf. Noch besser sind natürlich diejenigen, die sich nicht einmal Gedanken zu Leuten wie mir machen und es «einfach nur geil» finden, jedes Wochenende in einer anderen europäischen Stadt Party zu machen…
Vielerorts hört man zur Flugdiskussion gerade massenhaft Gezeter über die misswirtschaftenden, gierigen Manager der Airlines und Flughäfen. Glauben Sie mir, in vielen Punkten stimme ich vermutlich mit Ihnen überein. Selbstverständlich ist bei einer Preiserhöhung noch nicht gewährleistet, dass sich dies automatisch positiv auf die Löhne der Beschäftigten auswirkt. Doch dies ändert nichts an der Tatsache, dass die meisten Leute erst gar nicht bereit dazu sind, höhere Preise für ihre Flüge zu bezahlen – nicht immer nur, weil sie es sich nicht leisten könnten. Schliesslich stolperte ich in Bezug auf das Fliegen bereits mehrmals über das Wort «Menschenrecht». «Fun» Fact aus dem Kassensturz: Um alle tatsächlich anfallenden Kosten decken zu können, müssten Flugticketpreise aber eigentlich mindestens doppelt so hoch sein. Gemeint damit sind die Minderkosten resultierend aus veralteten Sonderrechten für die Flugbranche: Anders als fürs Auto gibt es für Airlines beispielsweise keine Mineralölabgabe. Auch Mehrwertsteuern werden, ganz anders als bei Zugfahrkarten, auf Flugtickets keine erhoben.
Sofern die Forderungen von branchenfernen Personen nach faireren Löhnen für unsereinen ernst gemeint sind, sollten diese tatsächlichen Kosten des Luftverkehrs im weiteren Sinne aber auch die beinahe durchs Band knausrige Bezahlung vieler Beschäftigten in meiner Branche miteinschliessen. Seit Anfang der 1980-Jahren und der weltweiten Deregulierung der kommerziellen Luftfahrt wurde Fliegen stetig günstiger, kein Wunder also, sind die heutigen Konsument:innen sehr empfindlich auf Kostenanstiege geworden – sie sind sich nichts anderes als Billigflüge mehr gewohnt. Es müsste ihnen aber bewusst sein (oder werden), dass der dadurch entstandene Preisdruck oftmals ungefiltert an das Personal in der Luft und auf dem Boden weitergegeben wird. Wie gesagt, es kann nicht nur Gewinner bei solchen Rechnungen geben. Nur als kleines Beispiel: Ein Cabin Crew Member verdient in der Schweiz je nach Dienstalter zwischen CHF 3’145 und 4’500 brutto, nach Sozialabzügen und Krankenkasse wohl kaum genug zum Leben, vor allem wenn man Berufes wegen nicht weiter als eine Stunde entfernt vom Flughafen wohnen darf. Geschweige, um fürs Alter vorzusorgen. Dass es also immer schwieriger wird, Leute zu finden, die zu solchen Konditionen arbeiten, ist nun echt nicht erstaunlich. Ganz offensichtlich liegt es hier also auch an jener «preissensitiven» Kundschaft, ihre Mitverantwortung an den Konsequenzen ihrer Ansprüche anzuerkennen und ihren Standpunkt neu zu definieren. Von der Scheinheiligkeit gewisser Fluggäste, die behaupten mit einem Meatless Monday und etwas Fair Fashion ihren Flug nach Bali ökologisch zu kompensieren, sei hier mal ganz abgesehen…
Und noch etwas: Wie sich bereits jetzt abzeichnet, sind es nicht nur die Folgen für die Umwelt, welche im Endeffekt uns alle betreffen. Was uns die Lage an vielen internationalen Flughäfen gerade aufzeigt, ist, dass geiziges und weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltiges Verhalten letztendlich gewaltig nach hinten losgehen kann und die daraus entstandenen Kosten (nach den direkten Verlierern der Gleichung) früher oder später auch die Allgemeinheit zu tragen haben wird. Sei es in Form von Verspätungen, abhanden gekommenem Gepäck oder wenn mit dem Steuergeld die Prämienverbilligungen von unterbezahlten Stewardessen bezahlt werden müssen und aufgrund der zu tiefen Gehälter die nationale Altersvorsorge immer grössere Finanzierungslöcher aufweist. Auch was die Reaktion der Konsument:innen auf die annullierten Flüge mit sich bringen kann, sehen wir bereits: Viele weichen auf das Auto (nicht etwa klimafreundlichere Züge o.ä.) aus und es bilden sich derzeit Staus, wie wir sie seit Langem nicht gesehen haben. Ob das nun besser ist, sagen Sie es mir.
Darum, meine Damen und Herren, plädiere ich für mehr Konsumenten(mit)verantwortung, auch im Falle der Luftfahrt. Es ist natürlich einfacher und angenehmer, jegliche Teilhabe an problematischen Entwicklungen abzustreiten und mit dem Finger auf andere zu zeigen oder alles als strukturelles (und deshalb vom Individuum unlösbares) Problem zu bezeichnen. Dies löst aber die Sache nicht und hilft den direkt betroffenen Beschäftigten nur begrenzt. Das Szenario ist ein ähnliches wie in anderen Wirtschaftsbereichen; man denke nur an den Gastronomiebereich oder das Fast-Fashion-Paradox. Ich finde: Unwissen (oder ist es kalkulierte Ignoranz?) schützt vor Mitschuld nicht vollständig und solange ich weiterhin Passagiere dabei belausche, wie sie sich über die kleinsten Anstiege in den Gebühren und Preisen aufregen, solange kann ich ihre Anerkennung und ihr Mitgefühl nicht zu 100 Prozent ernst nehmen. Deshalb, liebe Fluggäste, bitte seid besorgt, denn die Auswirkungen des aktuellen Schlamassels bekommt ihr nicht nur beim nächsten Streik zu spüren.
Mario V., Leser [1]
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[1] Mario V. ist eine fiktive, der Realität nachempfundene Figur aus unserer Reihe zu den aktuellen Geschehnissen in der Luftfahrt und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Siehe hier für Teil 1 und Teil 2. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten realen Personen sind rein zufällig.