Sind Umschulung und Weiterqualifizierung die wahren Heilmittel gegen den heutigen Fachkräftemangel?

Digitalisierung, Automatisierung und KI stellen eine große Bedrohung für den heutigen Arbeitsmarkt dar, der ständig wechselnde Fähigkeiten erfordert. Einige der Fähigkeiten fehlen jedoch nicht aufgrund der Entwicklung der Technologie, sondern eher aufgrund eines Attraktivitätsverlusts. Dies gilt insbesondere für Positionen mit einer ungewöhnlich hohen Anzahl an offenen Stellen oder für solche, die über eine längere Zeit unbesetzt bleiben.

 

Nach Angaben des Fachkräftemangel Indexes Schweiz, «besteht ein Qualifikationsdefizit, wenn es in einem Beruf mehr freie Stellen als Arbeitssuchende gibt.» Im vergangenen Jahr verglich die Adecco Group in ihrem Swiss Job Market Index die Anzahl der Stellenanzeigen mit der Anzahl der vom Informationssystem für die Arbeitsvermittlung und die Arbeitsmarktstatistik (AVAM) registrierten Arbeitssuchenden, woraus sich das Ranking des Schweizerischen Fachkräftemangels 2019 ergab.

Wie in den vergangenen Jahren sind im Jahr 2019 Ingenieurberufe wie Bau- und Elektronikingenieure von Schweizer Arbeitgebern am meisten gefragt. Technische Berufe, Treuhand- und IT-Berufe folgen. Die Rangliste zeigt zudem, dass im Vergleich zu 2016, als die Messung zum ersten Mal durchgeführt wurde, der Fachkräftemangel im Jahr 2019 in der ganzen Schweiz um 22% gestiegen ist. [1]

Es gibt viele verschiedene Gründe, welche den Fachkräftemangel erklären können. Es wird angenommen, dass die sich schnell verändernden Qualifikationsanforderungen, die durch die technologische Innovation hervorgerufen werden, den größten Einfluss auf die Risiken des Qualifikationsdefizits und -mangels haben. Auch der Hay’s Global Skills Index 2019/20 verzeichnete das höchste Talentdefizit seit der Einführung des Indexes im Jahr 2012, sie sind ausserdem der Ansicht, dass die technologische Entwicklung einer der Hauptursachen dafür ist [2].

Viele Unternehmen, denen ein Fachkräftemangel droht, der ihren geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen könnte, bereiten sich auf neue Technologien vor, indem sie ihre vorhandenen Arbeitskräfte weiterqualifizieren, in Ausbildungen investieren, lebenslanges Lernen fördern und das Rentenalter erhöhen.

Es besteht kein Zweifel, dass eine kontinuierliche Weiterbildung während der gesamten Karriere die neue Norm werden wird. Ist dies aber wirklich der Schlüssel zur Überwindung des Fachkräftemangels? Wenn ja, wie kommt es, dass die Situation so aussieht, als ginge es in die andere Richtung?

Ein weiterer Bericht, der von einem Schweizer Online-Stellenportal und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) veröffentlicht wurde, ermöglicht zusätzliche Einblicke in den Schweizer Stellenmarkt. Der Bericht vergleicht mehr als 100’000 Stellenanzeigen mit der Anzahl der Klicks auf Schweizer Stellenportalen und zeigt so das Interesse der Nutzer an bestimmten Stellen deutlicher auf.

In der Deutschschweiz erhielten Berufe in der Verwaltung, im Personalwesen, in der Beratung, im Verkauf und im Kundendienst, im Marketing, in der Kommunikation und in der Geschäftsleitung mehr Klicks als die ausgeschriebenen Stellenanzeigen. Stellen in Bereichen wie der Produktion, der Telekommunikation, dem Baugewerbe oder der Krankenpflege bekamen jedoch weniger Klicks im Vergleich zu den ausgeschriebenen Stellenanzeigen. [3] Dies deutet darauf hin, dass sowohl wirtschaftliche Anreize als auch gesellschaftliche Anerkennung bei der Berufswahl immer wichtiger werden.

Im vergangenen Jahr gab es in der Schweiz über 6000 freie Stellen in der professionellen Pflege. Diese Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt.[4] Die Untersuchung des Angebots und der Nachfrage nach Arbeitskräften im Gesundheitswesen in der Schweiz zeigt, dass in naher Zukunft diplomierte Pflegekräfte bis 2025 nur 56% des Bedarfs decken werden.[5]

In dem oben genannten Fall hat das Problem nicht mit einer Weiterbildung oder Umschulung zu tun. Es geht vielmehr darum, wie mehr Menschen – insbesondere jüngere Menschen – ermutigt werden können, eine Karriere in Berufen zu machen, die als weniger attraktiv angesehen werden.

Umso bedenklicher ist die Tatsache, dass ein großer Teil der Jugendlichen aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen (z.B. wenig Einkommen, lange Arbeitszeiten, zu viel Stress) entweder direkt nach der Lehre oder nach nur wenigen Jahren Berufserfahrung das Arbeitsfeld gewechselt hat. Dazu gehören Berufe der Kinderbetreuung, des Gastgewerbes, der Gastronomie und des Kunsthandwerks.

Heute spricht jeder über Automatisierung, Digitalisierung, KI, Weiterbildung und Umschulung. Wir dürfen nicht vergessen, dass es immer noch viele Jobs gibt, die für unser tägliches Leben unerlässlich sind und wahrscheinlich nicht automatisiert werden können. Genau diese Berufe verlieren an Popularität. Es ist wichtig, dass Regierungen und Bildungssysteme Maßnahmen zur Sensibilisierung und Förderung dieser Berufe ergreifen. Wie im OECD Employment Outlook 2019 geschrieben steht, „liegt die Zukunft der Arbeit in unseren Händen und wird weitgehend von den politischen Entscheidungen der Länder abhängen“.

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[1] Spring. 2019. Swiss skills shortage index 2019. URL: https://www.swissinfo.ch/resource/blob/45398900/860c466e7be6e615ba922c24c9edf5ee/adecco-study-data.pdf [21.01.2020]

[2] Rachel Muller-Heyndyk. 2019. New technology causing skills gaps and stagnant wages. URL : https://hrmagazine.co.uk/article-details/new-technology-causing-skills-gaps-and-stagnant-wages [21.01.2020]

[3] Robert Mayer. 2019. Die meisten Stelleninserate, die geringste Nachfrage. URL : https://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/in-diesen-berufen-herrscht-ein-mangel-an-fachkraeften/story/18953945 [21.01.2020]

[4] Albert Steck. 2019. Offene Stellen auf Höchststand. URL: http://jobs.nzz.ch/news/6/arbeitswelt/artikel/421/offene-stellen-auf-hochststand [21.01.2020]

[5] Veronica DeVore. 2016. When caring for patients gets competitive. URL : https://www.swissinfo.ch/eng/showing-off-skills_when-caring-for-patients-gets-competitive/42524090 [21.01.2020]