JANZZ Mindsetter – Interview mit Joachim Diercks

JANZZ Mindsetter überlässt das Wort Persönlichkeiten, die sich zu relevanten Themen rund um HR, Recruiting, Arbeitsmarkt, digitale Transformation, Diskriminierung am Arbeitsmarkt u.v.m. äussern. Mit diesem Blog wollen wir Menschen das Wort geben, die uns eine andere Sicht auf die Dinge vermitteln. Eben Mindsetter.

Joachim Diercks zum Thema Matching

Diercks ist Geschäftsführer der CYQUEST GmbH mit Sitz in Hamburg. CYQUEST ist unter dem Oberbegriff Recrutainment spezialisiert auf die unternehmens- und hochschulspezifische Erstellung von Lösungen aus den Bereichen Eignungsdiagnostik (Online-Assessment) sowie Berufs- und Studienorientierung. Diercks ist Herausgeber des Buchs „Recrutainment“ (2014), Autor einer Reihe von Fachartikeln zu verschiedenen eRecruiting- und Employer Branding Themen sowie regelmäßiger Referent bei Fachkongressen. Mit dem Recrutainment Blog zeichnet er für einen der meistgelesenen deutschsprachigen HR-Blogs verantwortlich.

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Sie bezeichnen Matching als das Trendthema. Weshalb?

Nun ja, „eigentlich“ ist Matching ja nichts neues, ging es doch in der Personalgewinnung im Prinzip immer schon darum, den richtigen Kandidaten für den passenden Job beim richtigen Unternehmen zu finden. Aber es ist nicht zu übersehen, dass in den letzten 2-3 Jahren eine ungeheure Dynamik in dieses Thema gekommen ist: Jede Menge neue Startups, die alle irgendein „Matching-Versprechen“ im Banner tragen und auch die etablierten Plattformen, allen voran die großen Business-Netzwerke LinkedIn und XING, gehen alle auf dieses Thema.

Für mich sind hierfür fünf Gründe ursächlich:

  1. Die Arbeitsmärkte haben sich dramatisch verändert. Zumindest in Deutschland, Österreich und der Schweiz kann man beobachten, dass sich viel in Richtung „Bewerbermarkt“ verschiebt. In Deutschland ist gerade die niedrigste Arbeitslosenquote seit 24 Jahren verzeichnet worden. Damit einher geht eine gewisse „Machtverschiebung“ in Richtung Kandidat. Die Unternehmen müssen sich also tendenziell mehr einfallen lassen. Matching ist hier oft eine Option.
  2. Diese Veränderung in den Arbeitsmärkten geht zudem einher mit einem neuen Auswahl-Paradigma: Es geht im Gegensatz zu früher heute viel mehr um „Passung“ statt um „Eignung“. Man sucht nicht mehr nach dem „Besten“, sondern dem „Bestpassenden“. Und das meint nicht nur die Unternehmen. Auch Arbeitnehmer wollen wissen, ob ein Arbeitgeber „in Gänze“ zu ihnen passt, nicht nur fachlich… Viele Matchingansätze drehen sich daher auch gar nicht (nur) um Hardfacts, sondern vor allem weiche Passungsfaktoren.
  3. Die nachwachsenden Bewerberzielgruppen, man spricht hier ja oft von GenY und GenZ ticken in vielerlei Hinsicht etwas anders. Hier liest man zwar auch viel Mist, aber ein Merkmal ist vollkommen unbestritten: Beide Generationen haben einen unbedingten Transparenzanspruch. Sie wollen wissen, was sich hinter der Fassade verbirgt. Personalmarketing-Phrasen überzeugen nicht mehr. Matching-Ansätze – allerdings nur gute – helfen Kandidaten oder denjenigen, die überlegen, ob sie überhaupt Kandidaten werden, vorab zu beurteilen, ob das Unternehmen und/oder der Beruf zu ihnen passen könnte.
  4. App-Economy…Man geht heute auf Reisen, ohne vorab die Reiseroute auf der Landkarte ausgekundschaftet zu haben; man hat ja Google Maps dabei. Für alle möglichen Lebensbereiche gibt es diese kleinen digitalen Helferlein. Und diese Entwicklung hat natürlich auch die Berufs- oder Jobfindung nicht ausgespart. Statt sich also durch alle möglichen Stellenanzeigen zu klicken, will man gern nur wenige passende angezeigt bekommen. Statt 100 Kandidaten zum Interview einladen zu müssen, um dann mühsam herauszufinden, ob einer davon passen könnte, wollen die Unternehmen nach Möglichkeit nur noch fünf Kandidaten einladen. Das heißt beide Seiten suchen irgendwie nach automatisierten Vorauswahlhilfen. Der Anspruch (auf beiden Seiten): „Gibt´s da nicht ´ne App für?“
  5. Und schließlich ist da natürlich die technologische Entwicklung, sowohl im eignungsdiagnostischen Assessment, vor allem aber rund um die Möglichkeiten, in großen Datenmengen auch sinnvoll Strukturen erkennen zu können. „Big Data“ eben. Heute können lernende Algorithmen mehr oder weniger intelligent große Mengen an Daten durchforsten, bewerten, sortieren und daraus sinnvolle Vorschläge ableiten – sowohl für suchende Unternehmen als auch (latent) suchende Kandidaten…

Dabei gibt es für mich aktuell drei große Stoßrichtungen im Matching:

  1. Matching durch den Einsatz mehr oder weniger eignungsdiagnostischer Instrumente wie (Selbst-)Tests,
  2. Matching durch den Einsatz von (lernenden) Algorithmen auf Basis von Big Data und/oder semantischen und ontologischen Technologien
  3. Matching durch ein verbessertes Kennenlernen bzw. realistische Einblicke.

Man kann eigentlich alles, was man aktuell im Markt unter der Überschrift Matching zu sehen bekommt, irgendwo in diesem Dreieck einsortieren, wie ich ja auch in meiner Artikelreihe zum „Megatrend Matching“ im Recrutainment Blog aufgezeigt habe.

Was für eine Transformation muss das HR oder Recruiting machen, damit es erfolgreich Matching einsetzen kann?

Das ist eigentlich ganz einfach (und gleichzeitig unglaublich schwierig…): Die Unternehmen müssen sich ehrlich machen. Wenn nicht ganz klar ist, worauf denn gematcht werden soll, dann wird Matching auch nicht gelingen können. Das setzt erstens voraus, dass die Unternehmen – und hier sehe ich eigentlich vor allem HR in der Pflicht – noch besser verstehen, wer sie eigentlich sind, wofür sie stehen und dadurch letztlich auch, was für Mitarbeiter sie eigentlich suchen. Die ganz klare Definition der eigenen Werte und Unternehmenskultur, abseits der blumigen Agenturformulierungen, muss der Anfang sein. Das ist nicht ganz einfach, aber es ist auch nicht unmöglich. Wir haben hierfür z.B. ein Testverfahren zur Messung unternehmenskultureller Merkmale entwickelt. Darauf ließe sich so etwas dann aufbauen.

Zweitens: Ehrlichkeit, und vor allem auch der „Mut zur Ehrlichkeit“. Es hilft niemandem, wenn das Unternehmen entweder alles irgendwie sein will oder sich hinter schönen Phrasen versteckt. Wenn das Unternehmen eine Ellenbogenkultur hat, dann hilft es keinem, wenn man dann auf der Karriere-Website oder in der Stellenanzeige was von Teamkultur schreibt, nur weil das vermeintlich besser klingt. Jedes Matching ist am Ende nur so gut, wie die Schablone Kontur hat…

Kann Matching überhaupt einen Mehrwert darstellen, in einem Arbeitsmarkt der immer umkämpfter wird?

Nun, ich halte gerade die Tatsache, dass viele Arbeitsmärkte – zumindest in Deutschland, Österreich und der Schweiz – umkämpfter geworden sind, für eine DER Ursachen, warum das Thema Matching so stark trendet. Um es mal akademisch auszudrücken: Gutes Matching sorgt ja dafür, dass es weniger Friktionen gibt. Friktionen sind die Ineffizienzen, die bei der Suche nach passendem Kandidaten bzw. der Suche nach dem passenden Job und Arbeitgeber entstehen. Dieser gegenseitige Suchprozess kostet im günstigsten Fall nur Zeit und Energie auf beiden Seiten; im schlimmsten Fall jedoch kostet er sowohl viel Zeit und Energie und gelingt am Ende noch nicht einmal, weil Kandidat, Job und Unternehmen gar nicht zusammen passen – ein Fehler, der leider oft erst im Nachhinein erkannt wird oder sogar gar nicht. Das eine wäre ineffizient, das andere zudem auch noch ineffektiv. Je umkämpfter Arbeitsmärkte sind, desto größer ist die Gefahr von Friktionen. An dieser Stelle wirkt Matching – egal über welche Art von Matching wir sprechen -, weil es beiden Seiten, also suchenden Unternehmen und Kandidaten, dabei hilft, das gegenseitige Suchen und Finden zu verbessern.